Forum Wohn-Bau-Politik

Wer trägt die Verantwortung für leistbares Wohnen?

Barbara Ruhsmann
Allgemein

Wer trägt die Verantwortung für leistbares Wohnen?
Nachdenken über einen wohnpolitischen Glaubenssatz

Nach den ersten beiden Online-Konsultationen des Wohnrechtskonvents wurden gerade durch die intensiven Auseinandersetzungen einige feststehende wohnpolitische „Glaubenssätze“ poröser und fragwürdiger. Hier ein Beispiel für einen davon:

„Es ist nicht Aufgabe des privaten Wohnungsmarktes, einkommensschwache Bevölkerungsschichten mit Wohnraum zu versorgen, dafür haben wir in Österreich den geförderten Wohnbau und die Gemeindebauten.“

• Die Aussage suggeriert, dass es am besten zwei getrennte Wohnungssektoren geben soll: Auf der einen Seite den gemeinnützigen staatlich geförderten sowie den kommunalen Wohnbau mit seinen Preisregulativen für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen. Auf der anderen Seite private Eigentümer*innen, die ihre Wohnungen frei, möglichst ohne Regulierung vermieten können sollen, wo der Preis sich über Angebot und Nachfrage gleichsam „marktnatürlich“ regelt.

• Dem gegenüber steht die gesamte österreichische Wohngeschichte des 20. Jahrhunderts, in der es diese scheinbar säuberliche Trennung nie gab.

Kurzer historischer Exkurs1:
Der private, unregulierte Wohnungsmarkt war bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Regel und nicht die Ausnahme. Egal ob arm oder reich, es waren alle angewiesen auf private Bautätigkeit.
Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch versuchte man in der damals explosionsartig wachsenden Kaiserstadt Wien der chronisch auftretenden Wohnungsnot mit verschiedenen Mitteln beizukommen: Steuererleichterungen für Bauherren, Stadterweiterung, Steuerbefreiungen für Neubauten. Aber nichts konnte nachhaltig das Wohnungselend der ärmeren Schichten aufheben. Dann kam der 1. Weltkrieg und verschärfte die Wohnungsnot weiter. Aus Angst vor sozialen Unruhen wurden schließlich 1917 per kaiserlicher Notverordnung die Mietzinse eingefroren. Auf dieser Verordnung aufbauend, einigte sich 1922 die „große Koalition“ von Christlichsozialen und Sozialdemokraten auf Mietzinsbeschränkungen, bei deren Berechnung man sich an den Zinsverhältnissen von 1914 orientierte . Von daher kommt die Bezeichnung „Friedenszins“ – die noch heute verwendet wird, wenn Vermieter auf aus ihrer Sicht ungebührlich niedrige Altverträge hinweisen wollen, obwohl der Begriff heute natürlich irreführend ist, da kein Mietvertrag seit 1922 unverändert fortgeschrieben wurde.
Die Gemengelage aus Mietzinsbeschränkungen (die allerdings noch immer eine Rendite von 5% ermöglichten), Inflation und kriegsbedingten Vermögensverlusten bewirkte damals, dass private Investoren das Interesse an Bautätigkeit verloren, was der Gemeinde Wien die Möglichkeit eröffnete, günstig Grundstücke zu erwerben, selbst Bauherrin zu werden und zwischen 1920 und 1934 über 60.000 Gemeindewohnungen zu errichten.

Kurzer historischer Exkurs2: Sprung in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts: Noch immer steht Wien im Mittelpunkt, wenn es um Mietrechtsgesetzgebung geht. Warum? Weil es hier sowohl nach der Anzahl als auch prozentuell im Vergleich mit den anderen Landeshauptstädten die meisten Mieter*innen gibt und weil einen großen Teil des Gebäudebestands die alten Zinshäuser der Gründerzeit ausmachen. Diese Zinshäuser waren bis in die Nullerjahre des 21. Jahrhunderts großteils im Besitz einzelner privater Eigentümer*innen und unterlagen weiter Mietzinsbeschränkungen, auch wenn die genauen gesetzlichen Regelungen immer wieder adaptiert und novelliert wurden.
Das private Zinshaus galt viele Jahrzehnte als der am besten sozial durchmischte „Mikroraum“ der Stadt. Hier wohnten bürgerliche Familien vielleicht nicht Tür an Tür, aber oft Stock an Stock mit Gastarbeiter*innen, Student*innen aus den Bundesländern neben Beamten-Witwen. Das private Zinshaus war vor allem erste Adresse für Neuankömmlinge in der Stadt, von denen viele nicht begütert waren. Der geförderte Wohnbau (vulgo Genossenschaftswohnung) begann sich erst in den 50er Jahren langsam zu entwickeln und das System der Gemeindewohnungsvergabe war für Neuankömmlinge nur sehr beschränkt offen.

• Wann begann die Kritik an der „fehlenden sozialen Treffsicherheit“ des sozialen Wohnbaus und damit implizit die Forderung nach klarer Separierung der Zielgruppen des geförderten und des privaten Wohnungsmarktes?
Sie begann in den 80er Jahren parallel zu zwei Entwicklungen:
– In Wien war ein großes Programm der Althaussanierung gestartet worden. Im Rahmen der sogenannten „Sanften Stadterneuerung“ wurden Gründerzeitviertel revitalisiert, die Häuser saniert, Substandardwohnungen beseitigt, kleine Zinshauswohnungen zusammengelegt.
– Gleichzeitig hatte sich der gemeinnützige Wohnbau in Österreich als mächtiger Wirtschaftsfaktor etabliert, während auf kommunaler Ebene immer weniger Wohnungen errichtet wurden. Im Gegensatz zu Gemeindewohnungen, die immer schon in erster Linie für einkommensschwache Menschen gedacht waren, hatte sich die gemeinnützige Wohnungswirtschaft von Beginn an auf den Mittelstand ausgerichtet.
So brachen in den 80er Jahren gleich zwei „Anlaufstellen“ für ärmere Bevölkerungsschichten weg: Die billigen, schlecht ausgestatteten Wohnungen in privaten Zinshäusern und zunehmend auch der Gemeindebau.
Folgerichtig nahm bei einer parlamentarischen Wohnrechtsenquete im Jahr 1991 die Kritik an der fehlenden sozialen Treffsicherheit im gemeinnützigen Wohnbau erstmals großen politischen Raum ein.

• Seit damals schwelt die Debatte und wurde in den letzten Jahren vor allem von Seiten der Immobilienwirtschaft immer offensiver geführt.

• Was hier hineinspielt: Die österr. Mietrechtsgesetzgebung sieht vor, dass Wohnungen in Gebäuden, die vor dem 9.5.1945 errichtet wurden, zu einem Richtwertmietzins vermietet werden müssen. Das heißt, es gibt einen feststehenden Ausgangswert (eben den Richtwert), die Vereinbarung eines freien Mietzinses ist nicht zulässig.
Eigentümer-Vertreter argumentieren, dass topsanierte Altwohnungen objektiv bessere Wohnqualität bieten als z. B. in den 60er oder 70er Jahren errichtete Wohnungen, dennoch gilt für die Altwohnung die Richtwert-Beschränkung, für die (schlechtere) neuere Wohnung nicht.

• In den Online-Konsultationen wurden so unterschiedliche Forderungen erhoben wie:
„den Privatbesitz an kommerziell vermieteten Wohnungen einzuschränken“, was weitergedacht bedeuten würde: Eigentum sollte in erster Linie dazu gedacht sein, es selbst zu bewohnen. Und eben die Forderung, private Eigentümer*innen nicht in Geiselhaft für das öffentliche Interesse „Leistbarkeit“ zu nehmen, dafür wären in Österreich ja ausreichend gemeinnützige Bauvereinigungen vorhanden.
Denkt man beide Ansätze in aller Konsequenz weiter, folgt aus dem ersten eine Gesellschaft, in der grundsätzlich nur mehr die öffentliche Hand Wohnungen vermietet und es keinen privaten Mietmarkt mehr gibt.
Aus dem zweiten Ansatz folgt ein vollkommen separierter Wohnungsmarkt, wo auf der einen Seite geförderter oder kommunaler Wohnbau jederzeit und ohne Einschränkung (z. B. betreffend Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltszeitraum in einem Bundesland/einer Gemeinde) allen zur Verfügung gestellt werden muss, die im privaten Markt kein für sie bezahlbares Angebot finden. Auf der anderen Seite ein privater Wohnungsmarkt ohne staatliche Regulative mit freier Zinsvereinbarung, mit reduziertem Mieterschutz und der Sicherheit, jederzeit frei über sein Eigentum verfügen zu können.

• Womit wir in unserer Gedankenkette bei einer zentralen Frage angekommen sind:
Wie wollen wir es als Gesellschaft in Zukunft mit dem Eigentum eigentlich halten? Positiv formuliert ist die private Vermietung einer Wohnung vom Eigentümer ein Akt des Teilens, des Teilens mit Gewinn. Negativ formuliert ist die private Vermietung einer Wohnung die Potenzierung von Vermögen, das nicht ausschließlich auf einer Eigenleistung des Eigentümers beruht (ein wesentliches Kriterium für den Wert einer Wohnung ist ihre Lage, deren Attraktivität wiederum wesentlich von Leistungen der öffentlichen Hand und damit vom Gesamten der Gesellschaft abhängt).
Wie viel Gewinn erachten wir als Gesellschaft für zulässig bei einer Ware, die anders funktioniert als alle anderen. Denn die „Ware Wohnung“ ist nicht beliebig nachproduzierbar. Ihre Herstellung ist abhängig von der Verfügbarkeit von Grundstücken. Und Grund und Boden haben es an sich, ein begrenztes Gut, eine begrenzte Ressource zu sein.
Können Wohnungen überhaupt als Ware verstanden werden? Kann grundsätzlich mit einem Grundbedürfnis (das viele als GrundRECHT ansehen) Handel betrieben werden?

• Die zweite zentrale Frage ist: Inwiefern muss die gemeinnützige Wohnungswirtschaft tatsächlich „umsteuern“? Wie oben beschrieben passierten bereits in den 80er Jahren strukturelle Veränderungen, welche die Anfangszielsetzung des gemeinnützigen Wohnbaus – dezidiert für den Mittelstand bauen – in Frage stellten. Nachdem die Kritik an fehlender „sozialer Treffsicherheit“ bis heute anhält, ist die These berechtigt, dass sich die Gemeinnützigkeit verstärkt um die Wohnraumversorgung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten kümmern muss.

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