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Jörg Wippel: Sozialer Wohnbau neu: bedürfnisorientiert
Barbara RuhsmannAllgemein
Der Text bildete die Grundlage des Referats von Jörg Wippel bei der Tagung „Brennpunkt Wohnbau – System im Umbruch“ und erschien als „Kommentar der anderen“ im Standard (7.6.2016).
„Es sind große Summen sichergestellt, um das soziale Wohnbauprogramm zu erfüllen. Trotzdem wird noch immer nicht schnell genug und ausreichend Wohnraum geschaffen. Darum hat sich die Gemeindeverwaltung entschlossen (…) noch ein zusätzliches Schnellbauprogramm zu finanzieren.“ (Franz Jonas, 1950, damals Stadtrat für Bauwesen)
In Umbruchszeiten kann es sinnvoll sein, kurz innezuhalten und in der Geschichte nach Parallelen zur Gegenwart zu suchen. Das Wiener Wohnbauprogramm der 50er Jahre bietet eine interessante Folie für heutige Diskussionen über leistbares Wohnen. Damals stand man vor der Herausforderung des Wiederaufbaus – binnen kürzester Zeit musste neuer Wohnraum geschaffen werden unter der Maxime, dabei „größte Wirtschaftlichkeit mit der größten Zweckmäßigkeit“ zu vereinen.
Die Stadt Wien bekannte sich u. a. zu einer aktiven Bodenpolitik und einer grundlegenden Änderung der Wohnungsstandards. Im Vergleich mit der Nachkriegszeit stellt sich die Gegenwart natürlich weniger dramatisch dar. Aber: Der Anteil einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen steigt, und der Wohnbau produziert am steigenden Bedarf nach billigeren Wohnungen im Grunde vorbei.
Wir sind immer noch sehr verhaftet im System der „fetten Jahre“ und haben uns daran gewöhnt, dass der Wiener Wohnbau „alle Stückeln“ zu spielen hat: architektonisch, ökologisch, sozial, städtebaulich. Die Folge ist ein Hybridstandard, der in dieser Form nicht mehr flächendeckend aufrechtzuerhalten ist.
Ich denke, dass kein Weg daran vorbeiführt, ernsthaft, schnell und tatkräftig ein Wohnbauprogramm für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen zu realisieren. Die in den 50er Jahren errichteten Gemeindebauten können uns dabei als Inspiration dienen: Mit einem Minimum an Mitteln wurden Häuser errichtet, die bis heute stehen, in denen Menschen zufrieden wohnen und die kein städtebaulicher Übelstand sind.
Einige Schlaglichter auf die konkrete Planung der damaligen Gemeindebauten: Betreffend Raumorganisation fällt die Reduktion auf Dreispänner-Lösungen auf – also Wohnungen bestehend aus Wohnzimmer, Schlafzimmer und einer Nassgruppe (WC, Abstellraum, Kochnische, Bad). Die Wohnungen verfügen oft über keinerlei Freiflächen wie Balkone, dafür gibt es großzügige Grünflächen rund um die Wohnanlagen. Die Häuser sind mit keinen Tiefgaragen unterbaut und nur mit einem Minimum an Stellplätzen versorgt.
Reflexhafte Empörung ist vorprogrammiert, wenn über die Änderung gewohnter Standards nachgedacht wird. Ich schlage aber nachdrücklich vor, Qualität im Wohnbau verstärkt in Zusammenhang mit Bedürfnisorientiertheit zu denken. Was wir brauchen – für Neuankömmlinge in der Stadt, für Geringverdiener, für Flüchtlinge, für Menschen, die durch welche Umstände auch immer in eine prekäre Lebenssituation geraten sind – ist: ein Dach über dem Kopf, das sie sich mit wenig Einkommen leisten können. In dem sie zur Ruhe kommen, wieder Fuß fassen können, Halt finden.
Dafür müssen wir – die Allgemeinheit, die Gemeinde – Vorsorge treffen. Die Stadt unternimmt gerade einen mutigen Vorstoß. Stadtrat Ludwig hat angekündigt, ab dem Jahr 2017 die Neubauleistung um 30 % zu steigern, zusätzlich 4000 neue Gemeindewohnungen zu errichten sowie ein Sofortprogramm für 1000 Wohnungen in Leichtbauweise anzugehen.
Die größte Herausforderung und Bedingung, die ich bei diesem Programm sehe, ist, die bisher üblichen Baukosten zu unterbieten. Das wäre durch folgende Maßnahmen möglich:
- Bereitstellung von Grundstücken durch die Stadt Wien und damit niedrige Grundkosten
- Errichtung von kleinen Wohneinheiten
- Niedrigere baurechtliche Standards und damit einhergehend geringere Gestehungskosten
- Einschwören der öffentlichen Verwaltung darauf, die Zeitabläufe zu verkürzen.
Es ist zu hoffen, dass die Stadt Wien bei ihren Plänen Standhaftigkeit und Selbstbewusstsein beweist. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass der Blick in die von mir soeben zitierte Vergangenheit Zukunft hat – und zwar eine gute Zukunft, die den sozialen Frieden in dieser Stadt weiter erhält und stärkt.