Forum Wohn-Bau-Politik

Wege zu einem neuen Wohnrecht – Nachlese Podiumsdiskussion 9.7.2019

Barbara Ruhsmann
Politik, Wohnen

Leistbares Wohnen wird eine der großen politischen Herausforderungen der nächsten Jahre sein – so lautete die einhellige Überzeugung der Vertreter und Vertreterinnen aller sechs in Nationalrat und Landtagen vertretenen Parteien. Bei einer Podiumsdiskussion, die das Forum Wohn-Bau-Politik veranstaltete, konnten sich die anwesenden Politiker*innen rasch auf das Ziel einigen. Bei der Frage, wohin die Reform-Reise gehen soll, klafften die Positionen freilich zum Teil weit auseinander.

Die Podiumsdiskussion am 9. Juli 2019 im Architekturzentrum des Museumsquartiers in Wien fand im Rahmen der Initiative „Wohnrechtskonvent 2019“ statt. Von Mai bis Dezember führt das Forum Wohn-Bau-Politik einen breit angelegten Diskurs über die Anforderungen an ein neues Wohnrecht. Alle Bürgerinnen und Bürger sind eingeladen, sich an einer Online-Konsultation zu beteiligen. Überdies wird im Oktober und November ein Bürger*innen-Konvent stattfinden, bei dem konkrete Lösungen erarbeitet werden.

Doch wie lauten die Positionen der derzeit wahlkämpfenden Parteien? Das konnten die Besucher der Podiumsdiskussion von den jeweils für dieses Thema maßgeblichen Politiker*innen selbst erfahren. Auf dem Podium saßen (in alphabetischer Reihenfolge):

Gerald Loacker, Abg.z.NR der NEOS
Josef Muchitsch, Abg.z.NR der SPÖ
Alexander Pawkowicz, Abg. zum Wiener Landtag der FPÖ
Johann Singer, Abg.z.NR der ÖVP
Nina Tomaselli, Abgeordnete zum Vorarlberger Landtag der Grünen
Wolfgang Zinggl, Abg.z.NR der Liste JETZT

Österreich hat einigen Reformbedarf, um die komplizierte Rechtslage rund um das Wohnen zu verbessern und günstigere Bedingungen für alle jene zu schaffen, die Wohnungen entweder bauen und verkaufen oder vermieten wollen, oder aber auf der Suche nach geeigneten Wohnungen sind.

Markt oder Staat?
Außer Streit steht, dass die Versorgung mit leistbaren Wohnungen nicht zur Gänze den Kräften des freien Marktes überlassen werden kann. Doch wo konkret sind staatliche Eingriffe hilfreich und wo kontraproduktiv? „Die öffentliche Hand ist keinesfalls nur für den gemeinnützigen Wohnbau zuständig“, fand zum Beispiel Nina Tomaselli (Grüne), „die Politik muss sich die Vormacht am Wohnungsmarkt zurückholen.“
„Diese Vormacht hat sie längst“, konterte Gerald Loacker (NEOS), „Wohnungen von gemeinnützigen Bauvereinigungen und Gemeindewohnungen machen zusammen 60% des Wohnbestandes aus. Trotzdem steigen die Mieten.“
Einen Grund dafür sieht Johann Singer (ÖVP) darin, dass in den Ballungsräumen das Angebot mit der steigenden Nachfrage nur ungenügend Schritt hält: „Wir müssen kostengünstiges Bauen erleichtern. Wenn genügend Wohnungen auf den Markt kommen, verringert das den Druck auf die Preise.“
Wolfgang Zinggl (JETZT) wies darauf hin, dass der viel propagierte Traum, sich im Laufe des Lebens Wohnungseigentum zu schaffen, „für alle, die nichts geerbt haben und annähernd im Durschnitt verdienen“, schlicht unerreichbar ist: „Bei 1.500 Euro netto Medianeinkommen kann jemand, wenn er sehr sparsam lebt, 200 Euro im Monat weglegen. Damit kann er allenfalls nach 60 Jahren eine bescheidene Eigentumswohnung finanzieren.“ Zinggl leitet daraus die Verpflichtung für die Gemeinschaft ab, leistbare Mietwohnungen für die Wenigverdiener, aber auch die Durchschnittsverdiener bereitzustellen.

Lob und Kritik am sozialen Wohnbau
Insgesamt übt die gemeinnützige Wohnungswirtschaft eine positive, preisdämpfende Wirkung auf den Wohnungsmarkt aus – meinten jedenfalls Josef Muchitsch (SPÖ) und Johann Singer (ÖVP). Dem hielten Gerald Loacker (NEOS) und Alexander Pawkowicz (FPÖ) entgegen, dass die soziale Treffsicherheit der Gemeinnützigen längst verloren gegangen sei. Pawkowicz sprach wörtlich von einer „Fehlbelegung im sozialen Wohnbau“. In Wien könne eine fünfköpfige Familie selbst dann noch eine geförderte Wohnung erhalten, wenn das Familieneinkommen bei 6.400 Euro netto pro Monat liegt.

Die Geldpolitik der EZB
Schuld am starken Preisanstieg bei Wohnungen ist nicht nur die Nachfrage, sondern auch die Nullzins-Politik der Europäischen Zentralbank. Die würde nämlich dazu führen, dass Anleger ihr Geld in Immobilien statt in Finanzanlagen stecken. So entsteht eine Nachfrage nach Wohnungen durch Menschen, die sie gar nicht zum Wohnen brauchen. Mehr noch als diese unerfreuliche Situation störte Wolfgang Zinggl (JETZT) die Tatsache, dass von der österreichischen Politik so getan werde, als ließe sich nichts gegen Finanzspekulationen im Immobiliensektor tun. Zinggl warf konkret der ÖVP und den NEOS eine „ideologische Haltung“ in dieser Frage vor: „Offenbar haben diese Parteien ein Interesse daran, den großen Playern im Immobilienmarkt weiter das Spekulieren zu ermöglichen.“ Was von Loacker und Singer umgehend heftig zurückgewiesen wurde.
„Es geht um einen fairen Interessensausgleich“, sagte Singer, „Wohnen ist ein Grundrecht, und da haben wir als Politik drauf zu schauen. Aber wir müssen auch sicherstellen, dass es sich lohnt, Wohnungen zu bauen und anzubieten, sonst wird das über kurz oder lang niemand mehr machen.“
Nina Tomaselli (Grüne) hob die Wohnpolitik in Südtirol als vorbildlich hervor: „Dort hat sich die Politik schon in den 1970er-Jahren darauf verständigt, dass Wohnen ein Thema der öffentlichen Versorgung ist und nicht des Marktes. Dort ist alles durchgeregelt, von der Raumordnung bis zu den Mieten, es gibt auch klare Bestimmungen für Sanierungen. Und siehe da, es funktioniert. In Österreich traut man sich nicht drüber.“

Strukturelle Ursachen des Kostenanstiegs
Die Ursachen für den starken Preisanstieg beim Wohnen – in den letzten 10 Jahren ungefähr doppelt so stark wie die Inflationsrate – sind vielfältig. In manchen Regionen treibt der Mangel an geeigneten Bauflächen die Grundstückspreise in die Höhe. Die Preise fürs Bauen und für Baustoffe sind stark gestiegen, weshalb der Anteil der Finanzierungskosten an den Gesamtkosten dank niedriger Zinsen zwar enorm gesunken ist, die Gesamtkosten selber aber weiter stiegen. Nicht zuletzt stiegen auch die Ansprüche der Wohnungssuchenden, sowohl was die Größe als auch was die Qualität der Wohnungen betrifft.
Wolfgang Zinggl (JETZT) sieht überdies in den befristeten Mietverträgen einen Schuldigen: „Bei jeder Neuvermietung wird die Miete stark angehoben. Befristungen treiben so die Mieten in die Höhe.“ Er schlägt daher vor, die Möglichkeiten für Befristungen massiv einzuschränken, weil diese überdies ein kulturelles Problem schaffen würden: „Wer nur wenige Jahre in einer Wohnung wohnen darf, investiert nicht, adaptiert sie nicht nach seinen Bedürfnissen, baut keine Beziehung zu den Nachbarn auf, entwickelt keine Wurzeln.“

Öffentliche Konsultation bis 8. September
Im Rahmen der Initiative „Wohnrechtskonvent 2019“ läuft derzeit bis 8. September online ein öffentlicher Konsultationsprozess.
Unter www.wohnrechtskonvent.at kann jeder und jede mitdiskutieren sowie die eigenen Erfahrungen mit dem Thema Wohnen einbringen. Ziel ist es, bis Jahresende ein Weißbuch vorzulegen, das konkrete Reformvorschläge für die Politik enthält.

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