Okt
Über Wohnpolitik, das Verständnis von Eigentum und einen Abschied.
Forum Wohn-Bau-Politik – 2015 bis 2021
Prolog
Das Forum Wohn-Bau-Politik kann seine Pforten nicht schließen, denn es hatte keine. Die Namensgebung unseres Vereins war Programm: Es ging darum, einen neuen Platz zu eröffnen – für interdisziplinären Diskurs, innovative Veranstaltungsformate, neue Allianzen und Begegnungen. Und es ging auch darum, sich auf dem wohn(bau)politischen Spielfeld gezielt dorthin zu begeben, wo gerade niemand steht, schlicht um Bewegung ins Spiel zu bringen.
Wir können also keine Pforten schließen, verlassen aber den Platz.
Wer waren wir?
Das Forum Wohn-Bau-Politik wurde im Juni 2015 gegründet. Es war „ein Kind“ des Europäischen Forum Alpbach (EFA). Alle Beteiligten hatten sich zu verschiedenen Anlässen bei Veranstaltungen des Europäischen Forum Alpbach kennengelernt. Wer waren wir?
Allen voran zu nennen ist Gründer und Initiator Jörg Wippel, damals noch Geschäftsführer der wvg Bauträger GmbH und langjähriger Begleiter der Alpbacher Baukulturgespräche. Er wurde Ehrenpräsident des Forum Wohn-Bau-Politik, gemeinsam mit Uli Böker – damals Bürgermeisterin der Best-Practice-Baukulturgemeinde Ottensheim – und Franz Fischler, damals Präsident des Europäischen Forum Alpbach. Der Vorstand wurde gebildet aus Barbara Ruhsmann – über viele Jahre Projektmanagerin beim EFA -, Andrea Jany, Architektin und Wohnbauforscherin aus Graz, und Harald Frey, Verkehrsplaner und Mobilitätsforscher an der TU Wien.
Österreich wurde 2015 von einer großen Koalition unter der Führung von Kanzler Faymann und Vizekanzler Mitterlehner regiert. Das Regierungsprogramm zeigte sich beim Thema Wohnen ähnlich ambitioniert wie bereits einige davor. Unter Expert:innen war die Hoffnung allerdings gering, dass ausgerechnet diesmal auf die Worte – z. B. angekündigte Reformen im Mietrecht – auch legislative Taten folgen würden. Das Forum Wohn-Bau-Politik hatte sich zum Ziel gesetzt, den Diskurs „zu beleben“.
„Die österreichische Politik beschäftigt sich bevorzugt in Wahlkampfzeiten mit wohn(bau)politischen Fragestellungen. Was fehlt, ist eine sachliche und gesamtheitliche Betrachtung des Systems Wohnbau und kontinuierliche Arbeit an den großen wohn(bau)politischen Baustellen etwa in den Bereichen Raumordnung, Wohnrecht oder Wohnbauförderung“, so begründete Jörg Wippel die Initiative und meinte zum Ziel: „Wir schaffen eine Ideen-Plattform, die einen öffentlichen Bewusstseinsbildungsprozess in Gang setzen möchte, um den seit Jahrzehnten vorherrschenden Reformstau in Bewegung zu bringen.“
Ein ambitioniertes Ziel für einen frisch gegründeten, zu 100 Prozent privat finanzierten Verein. Es folgte eine Reihe von Veranstaltungen in Kooperation mit dem Europäischen Forum Alpbach. Das FWBP wurde wissenschaftlicher Partner der Baukulturgespräche und gestaltete u. a. die Programme „Auf Geld bauen: Gleichheit produzieren oder Ungleichheit aushalten“ und „Stadt gestalten: Bottom up oder Top down?“ mit. Das FWBP konzipierte zahlreiche weitere Veranstaltungen, z. B. in Kooperation mit dem Club of Vienna oder auch der Volksanwaltschaft. Dazu wurden auf dem Blog der FWBP-Website regelmäßig Texte zu wohn(bau)politischen Themen publiziert. Der Verein machte sich überraschend schnell einen Namen. Die kreativen, interdisziplinären Zugänge zu Fragestellungen rund ums Wohnen fanden positive Resonanz.
Höhe- und Wendepunkt „Wohnrechtskonvent“
Das ambitionierteste und langfristigste Projekt des Vereins war der im März 2019 gestartete und über ein Jahr laufende „Wohnrechtskonvent 2019/20“. In diesem Beteiligungsverfahren wechselten Online-Konsultationsformate mit informellen und öffentlichen analogen Gesprächsrunden und Veranstaltungen. Ziel war es, gemeinsam mit Expert:innen, Stakeholdern, Politik und Zivilgesellschaft ein Weißbuch für das österreichische Wohnrecht zu erarbeiten. Die im Februar 2020 publizierte „Agenda für ein neues Wohnrecht“ versammelte die Ergebnisse des Wohnrechtskonvents. Ein ursprünglich geplanter analoger Bürger:innenkonvent als Abschluss und Höhepunkt des Wohnrechtskonvents fand nicht statt.
Grund dafür war in etwa zu gleichen Teilen die Pandemie sowie das Regierungsprogramm der türkis-grünen Koalition, in dem ein beinah identes Vorhaben formuliert wurde: „Unter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, Expertinnen und Experten, Ländern und Gemeinden, der Zivilgesellschaft, Kammern und Interessenvertretungen wird im Rahmen parlamentarischer Instrumente (z.B. Wohnraum-Enquete, Dialogforen) das Wohnrecht (MRG, WGG, WEG, ABGB, WBF) reformiert, damit mehr sozialer Ausgleich, ökologische Effizienz sowie mehr Rechtssicherheit und Wirtschaftlichkeit geschaffen wird. Ziel ist es, bis Ende der Legislaturperiode koordinierte Maßnahmen zu formulieren und umzusetzen, die alle wesentlichen Regelungsbereiche behandeln.“, Regierungsprogramm, S. 42)
Was kann ein kleiner Verein mehr erreichen, als Inspiration für einen Teil des Regierungsprogramms geliefert zu haben? Im Grunde eine unglaubliche Leistung angesichts z. B. beschränkter personeller Ressourcen.
Ein guter Zeitpunkt also, um das Feld zu verlassen?
Ja. Es reichte irgendwie. Irgendwie war klar: Mehr wird – speziell während der Pandemie – wohnpolitisch nicht gehen. Das Forum Wohn-Bau-Politik verstand sich nie als „Debattierklub“ – im Fokus war, die tatsächliche Umsetzung von rechtlichen Reformen mit-anzustoßen. Da gelangte seit 2020 zwar nicht vieles auf den Weg, aber auch nicht nichts. Immerhin wurde eine längst überfällige Novellierung des Wohnungseigentumsgesetzes beschlossen. Und im Zuge der immer dringlicher werdenden Rufe nach politischen Maßnahmen gegen die Klimakrise entflammte z. B. die Debatte über den verheerend sorglosen Umgang Österreichs mit Boden bzw. Bodenversiegelung und damit über Raumplanung und Raumordnung im Sommer 2021 überraschend intensiv.
ABER: Von ihrem Programmziel, das Wohnrecht mit Hilfe breiter Beteiligungsformate zu reformieren, ist die aktuelle österreichische Bundesregierung allem Anschein nach weit entfernt. Und öffentliche Diskussionen über die Themen Wohnen, Wohnbau, Wohnrecht bleiben bislang in altvertrauten Fahrwassern, die eher in kleine Teiche als ins große Mee(h)r münden – vom Bestellerprinzip über Leerstandsabgabe bis zum ewig gleichen Ruf nach mehr „leistbarem“ Wohnen. Die aus unserer Sicht dringend notwendige Beschäftigung mit den in der Tiefe rumorenden Themen steht noch an, als da wären:
• Die enge Verzahntheit von Wohn-, Sozial- und Energiepolitik; kulminierend z. B. in der Notwendigkeit, legislativ die Qualitäten einer „Normwohnung“ neu zu fassen (wesentlich definiert über ihre Klimaneutralität), welche die Basis für Zu- und Abschläge in einem neuen Mietrecht darstellt.
• Die Notwendigkeit, das Recht auf Eigentum und die Freiheit, darüber nach Belieben zu verfügen, zu überdenken – angesichts der ineinander greifenden Problematiken von Leerstand, Spekulation, Versiegelung und Zersiedelung sowie der dringlichen Dekarbonisierung des Gebäudebestands.
Abschied mit Bedauern und Zufriedenheit
Wir verabschieden uns also bzw. verabschieden das Forum Wohn-Bau-Politik. Barbara Ruhsmann, Obfrau des Forum Wohn-Bau-Politik, sagt dazu: „Ich gebe zu, dass mir der Abschied schwerfällt. Wir sind mit dem Wohnrechtskonvent extrem weit gekommen und ich persönlich wäre gerne noch weitergegangen. Das Forum Wohn-Bau-Politik war ein sehr freier, unorthodoxer, niemandem verpflichteter Spieler auf dem Feld der Wohn(bau)politik. Das hat uns dafür prädestiniert zum einen immer wieder vermittelnde Funktionen einzunehmen, zum anderen die Entwicklung innovativer Veranstaltungs- und Beteiligungsformate auszuprobieren. Unsere letzte große Tat, die ‚Agenda für ein neues Wohnrecht‘, wird zumindest so lange aktuell bleiben, bis sich auf Bundesebene eine Regierung der darin skizzierten Problemfelder annimmt. Wir sind jedenfalls nicht aus der Welt und stehen als Personen weiter allen Reformfreudigen mit unseren gewonnenen Erfahrungen zur Verfügung!“
Jörg Wippel, Initiator, Sponsor, treibende Kraft der Initiative, holt zum Abschied weiter aus:
„Meine Erkenntnis aus dem Projekt und dem Prozess Forum Wohn-Bau-Politik: Das weltweite Ballungsraum-Speckgürtel-Problem als die Ursache aller wohnungspolitischen Probleme ist mit den herkömmlichen politischen Ansätzen alleine nicht lösbar. Seit Jahrzehnten sagt:
• Die Linke: Wohnungspreise und -mieten gesetzlich begrenzen, dann kann jeder dort leistbar wohnen, wo er will.
• Die Rechte: Viel mehr Wohnungen bauen, dann sinken die Wohnungspreise automatisch.
Weder die so drängenden ökologischen Fragen wie Eindämmung von Bodenverbrauch und -versiegelung, Verringerung der Wegstrecken der Bevölkerung, Dekarbonisierung der Heizungs- und Lüftungssysteme von Gebäuden etc. noch die sozialen Fragen wie leistbare Wohnungen überall dort, wo Menschen wohnen wollen, ist dadurch lösbar gewesen oder wird es in Zukunft sein.
Angesichts eines weiteren Wachstums der Weltbevölkerung und der dadurch automatisch einhergehenden Verknappung der Siedungsräume wird nur die Erkenntnis, dass Grund und Boden keine normalen Waren sind, sondern unvermehrbares Gut, das jeder Mensch braucht um ein Leben in Würde führen zu können, jener einzige Ansatz sein, der die Wohnproblematik und somit das Ballungsraum- Speckgürtelproblem lösbar machen kann.
Diese Erkenntnis aber muss von der Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung in der ersten Welt getragen werden, um den Eigentumsbegriff von Grund und Boden, wie er jetzt herrscht, zu verändern. Eigentum an Grund und Boden muss nicht nur zur Errichtung von Ver- und Entsorgungssystemen (dem Bergbau, der Eisenbahn, dem Straßennetz oder der Energieversorgung), sondern auch zur Lösung des ökologischen und sozialen Wohnungsproblems im öffentlichen Interesse gestaltet werden.
Angesichts der österreichischen Politik bin ich zur Auffassung gelangt, dass wir und die Demokratien Europas noch nicht so weit sind, dass dies in absehbarer Zeit ergebnisorientiert diskutiert werden kann. Daher bin ich Barbara Ruhsmanns Vorschlag, die (nicht existierenden) Pforten zu schließen, gefolgt. Wissend, dass unsere „Agenda für ein neues Wohnrecht“ den umfassendsten Themenkatalog zur Wohnrechtsproblematik darstellt, den es je gegeben hat, bedanke ich mich – nur mit einem kleinem Bedauern, dass wir nicht weitergekommen sind – vor allem bei Barbara, ohne deren Fähigkeiten, sachlichen Ehrgeiz, Organisationsfähigkeit und Kommunikationstalent als Ursache und Kern des nunmehr vorhandenen Netzwerks es niemals auch nur ansatzweise zur „Agenda für ein neues Wohnrecht“ gekommen wäre.
Erhard Busek, Franz Fischler und Uli Böker, die die Breite der Teilnehmer:innenschaft aus der Politik erst ermöglicht haben, aber auch Andrea Jany, Harald Frey und Hermann Knoflacher bin ich ewig dankbar, dass sie diesen Prozess mitgestaltet und getragen haben!“