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Barbara Ruhsmann: Verfügt die österreichische Wohnungspolitik über ausreichend faktische Grundlagen?
Barbara RuhsmannAllgemein
Barbara Ruhsmann
Über den Wohnungsbestand in Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck und die Frage: Verfügt die österreichische Wohnungspolitik über ausreichend faktische Grundlagen?
Im aktuellen Programm der österreichischen Bundesregierung „Zusammen. Für unser Österreich.“ sind im Kapitel „Justiz“ unter der Überschrift „Modernisierung des Wohnrechts“[1] eine Reihe von Maßnahmen aufgelistet, mit denen Österreichs Wohnrechte[2] verändert werden sollen.
Vor allem die geplante „Modernisierung“ des Mietrechtsgesetzes (MRG) sorgte für Schlagzeilen. Die Aufhebung des Lagezuschlags-Verbots in Gründerzeitvierteln sowie die in Aussicht gestellte Möglichkeit, alte Wohnungen aus dem MRG-Richtwert-Regime herauszusanieren und in Folge zu einem marktkonformen Zins zu vermieten, weckte die Sorge, dass in Wien das Zinsniveau auf dem privaten Markt weiter ansteigen wird.
Wien mit seinem noch immer großen Bestand an Zinshäusern aus der Gründerzeit ist naturgemäß von Mietrechtsänderungen am meisten betroffen – genau dieser Umstand machte Reformen in den letzten Legislaturperioden mit SPÖ-ÖVP-Koalitionen auch so schwierig. MRG-Reformen waren und sind schlicht für die westlichen (ÖVP-geführten) Bundesländer mit ihrem jüngeren Wohnungsbestand ohne großen Belang – damit war auch die Bundes-ÖVP nie genötigt, großen Reformgeist zu entwickeln. Der SPÖ-Vorschlag zu einem Universalmietrecht mit Mietobergrenzen blieb der ÖVP ideologisch zu fremd und landespolitisch zu unnotwendig, als dass man zu einem Kompromiss gefunden hätte. Die aktuelle ÖVP-FPÖ-Koalition strahlt hier mehr Einigkeit aus: Der private Mietwohnungsmarkt soll mehr Markt, die soziale bzw. gemeinnützige Wohnungswirtschaft soll „mehr sozial“ sein – in der Annahme, dass auf diesem Weg jede Bevölkerungs- bzw. Einkommensgruppe wieder ein adäquates und für sie leistbares Wohnungsangebot vorfinden wird.
Um einzuschätzen, ob das der richtige Weg sein kann, wurde der Versuch unternommen, vom singulären Blick auf Wien Abstand zu nehmen, und den Wohnungsmarkt vier anderer österreichischer Städte zu betrachten: Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck. Ein Versuch, der aufgrund fehlenden statistischen Materials, nur mangelhaft geglückt ist, wie vorausgeschickt werden muss.
Exkurs: Datenlage zum österreichischen Wohnungsbestand
Was man von jeder der vier untersuchten Städte recht genau weiß, ist die Anzahl der Wohnungen im Eigentum bzw. im Vergaberecht der jeweiligen Gemeinde. Was man relativ genau weiß, ist die Anzahl der geförderten Mietwohnungen. Was man de facto nicht genau eruieren kann, ist die Anzahl der privaten Mietverhältnisse (ganz zu schweigen von einer weiteren Aufteilung dieser Anzahl in MRG-Richtwert-Verträge und Verträge mit freier Mietzinsbildung.) Weiters unbekannt: die Anzahl an Hauptwohnsitzen im Haus- und Wohnungseigentum.
Das heißt, man weiß, wie groß in etwa der sozial preisgebundene Wohnungsbestand ist, über den zumindest in Graz, Salzburg und Innsbruck weitaus größeren Anteil an Eigentum und privaten Mietwohnungen kann keine genaue Aussage getroffen werden.
Das liegt daran, dass die statistischen Auswertungen auf dem österreichweiten Adress- Gebäude- und Wohnungsregister (AGWR) basieren, welches 2001 zum ersten Mal befüllt wurde. Seither veralten die Bestandsdaten zunehmend, da z. B. Eigentümerwechsel bei Gebäuden den Gemeinden nicht gemeldet werden müssen. Die Gemeinden ihrerseits sind nur im Anlassfall laut GWR-Gesetz angehalten, Daten eines bereits bestehenden Gebäudes zu korrigieren. Weiters werden z. B. zwar Baubewilligungen in das Register eingetragen (andernfalls würde keine Adresse vergeben werden können), Fertigstellungen werden lt. Experten aber trotz gesetzlicher Verpflichtung oftmals nicht konsequent eingetragen.
Vor dem Hintergrund dieser unsicheren bzw. schlicht nicht vorhandenen Datenlage verblüfft es dann doch ein wenig, wie überzeugt politische Lösungen für die Wohnungsfrage präsentiert werden.
Exkurs Ende
Trotz der oben beschriebenen Problematik werden natürlich statistische Einschätzungen und Hochrechnungen angestellt.
Im Tabellenband Wohnen der Statistik Austria[3] werden zu Gemeinden mit mehr als 100.000 EinwohnerInnen (= Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck) folgende Prozentsätze für die Rechtsverhältnisse im Haus- und Wohnungsbestand angegeben:
Haus-eigentum | Wohnungs-eigentum | Gemeinde-wohnung | Genossenschafts-wohnung | Andere Hauptmiete | sonstige |
10,9% | 19,9% | 4% | 27,9% | 30,0% | 7,3% |
Insgesamt gibt es in diesen Städten 377.300 Hauptwohnsitzwohnungen (im Vergleich: Wien 904.800)[4].
Schaut man sich die vier Städte im Detail an, ergibt sich jeweils eine sehr unterschiedliche Verteilung der Rechtsverhältnisse.
1 Innsbruck – 74.869 Wohnungen (2.1.2018)
Innsbruck ist mit 132.493 EinwohnerInnen (Stand 1.1.2018) die kleinste der vier untersuchten Landeshauptstädte. Laut Angaben der Stadt Innsbruck[5] sowie dem Leiter der Wohnungsvergabe ergibt sich folgende Verteilung:
Haus- und Wohnungseigentum | via IIG im Eigentum der Stadt | Geförderte Mietwohnung (alle im Vergaberecht der Stadt) |
Private Hauptmiete | Sonstige |
31,3%[6] | 8% | 13,3% | 36,3% | 11,1% |
Laut Immobilienpreisspiegel der Wirtschaftskammer Österreich lag der Mietzins im Jahresdurchschnitt 2018 bei € 11,30 (exklusive Betriebskosten) – damit ist Innsbruck österreichischer Mietzins-Spitzenreiter.
Was im Vergleich zu den Durchschnittswerten der Statistik Austria für Gemeinden über 100.000 EinwohnerInnen auffällt, ist, dass Innsbruck beim Sozialwohnungsbestand weit unter dem Durchschnitt liegt, beim Haus- und Wohnungseigentum darüber.
2 Salzburg – 87.947 Wohnungen (1.1.2017)
Salzburg liegt mit 153.377 EinwohnerInnen (Stand 1.1.2018) größenmäßig auf dem dritten Platz der untersuchten Städte. Laut Angaben des Salzburger Instituts für Raumordnung & Wohnen[7] bzw. des Statistischen Jahrbuchs 2017[8] ergibt sich folgende Verteilung:
Haus- und Wohnungseigentum | Im Eigentumder Stadt | Gef. Mietwohnung im Vergaberecht der Stadt | Geförderte Mietwohnung | Private Hauptmiete | Sonstige |
Rd. 50% | 2% | 10,2% | 7,6% | Rd. 23% | 7,3% |
Laut SIR[9] gibt es in der Stadt Salzburg eher wenige private Richtwert-Mietverträge. Gebäude, die vor 1945 errichtet wurden, weisen oft nur mehr eine teilweise Wohnnutzung auf. Man kann aufgrund der oben geschilderten Datenproblematik keine gesicherten Aussagen treffen, aber der allergrößte Teil der Wohnungen in privater Hauptmiete unterliegt wohl freier Mietzinsbildung.
In Salzburg fällt die gleiche Korrelation wie in Innsbruck ins Auge: Relativ geringer Anteil Sozialwohnungen, hoher Anteil Eigentum und privater Mietmarkt sowie ein hoher Mietzins – im Jahresdurchschnitt 2018: € 10,00 (exklusive Betriebskosten). Damit ist Salzburg hinter Bregenz auf Platz 3 aller österreichischen Landeshauptstädte.
3 Linz – 115.124 Wohnungen (1.1.2018)
Linz ist mit 204.846 EinwohnerInnen die drittgrößte österreichische Landeshauptstadt und hat den höchsten Bestand an sozial gebundenen Mietwohnungen. Wobei sich besonders in Linz ein weiteres Datenproblem auftut: Die Eigentumsverhältnisse, wie sie auf der Statistik-Seite der Stadt dargestellt sind, beruhen auf den bereits im Exkurs besprochenen problematischen AGWR-Daten. Dazu kommt aber auch eine gewisse Unsicherheit, was den Bestand an geförderten Mietwohnungen betrifft. Die ehemalige gemeinnützige Bundeswohnbaugesellschaft WAG wurde so wie die Buwog und die verschiedenen Eisenbahner-Wohnbaugesellschaften 2004 verkauft. Die Linzer WAG sowie die Linzer Eisenbahnergesellschaft EBS verfügte insgesamt über 25.000 Wohnungen. Es konnte 1. bis zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Artikels trotz Nachfrage bei der WAG nicht eruiert werden, wie viele Wohnungen davon in Linz gebaut wurden, und 2. weiß de facto anscheinend niemand genau, wie viele dieser ehemals gemeinnützigen Wohnungen verkauft und heute als Eigentumswohnungen bewohnt werden bzw. wie sich die grundsätzlich auch nach der Privatisierung fortbestehende WGG-Mietzinsbildung bei diesen Wohnungen fortentwickelt hat.[10]
So weit, so ungenau. Dennoch hier eine Einschätzung; zumindest der Anteil an Wohnungen im Besitz der Stadt (via GWG Linz) ist gesichert.
Haus- und Wohnungseigentum | Geförderte Mietwohnungen im Eigentumder Stadt | Andere geförderte Mietwohnungen | Private Hauptmiete | Sonstige |
rd. 25% | 16,5% | zwischen 25 und 30% | zw. 21 und 26% | 7,3% |
Trotz der Ungenauigkeit hervorstechend: Der vergleichsweise hohe Anteil an sozial gebundenem Wohnraum und der anscheinend geringe Anteil an Haus- und Wohnungseigentum. Durchschnittlicher Jahresmietzins 2018 laut Immobilienpreisspiegel: € 8,30 – das ist der 5. Platz im Mietzinsranking der Landeshauptstädte (hinter Innsbruck, Bregenz, Salzburg und Wien).
4 Graz – 181.361 Wohnungen (1.1.2017)
Graz ist mit 286.292 EinwohnerInnen die zweitgrößte Stadt Österreichs und man ist geneigt, sie als statistischen Sonderfall wahrzunehmen. Als einzige der vier untersuchten Landeshauptstädte scheinen weder auf der Website der Stadt Graz statistische Daten zum Wohnungs- und Gebäudebestand auf, noch kann die Präsidialabteilung der Stadt Auskunft über den Bestand geben. Immerhin ist die Anzahl der Gemeindewohnungen gesichert[11] und dank der Informationen durch den GBV-Revisionsverband konnte auch die Anzahl geförderter Mietwohnungen eingeschätzt werden.
Haus- und Wohnungseigentum | Gemeindewhg. + Übertragungswohnungen | Geförderte Mietwohnungen | Private Hauptmiete | Sonstige |
49%? | 6% | 7,3% | 30%? | 7,3 |
Da über die Stadt Graz nicht einmal die AWGR-Daten (öffentlich) zugänglich sind, tappt man bei den Anteilen von privater Hauptmiete sowie Haus- und Wohnungseigentum im Dunkeln und kann nur mehr oder weniger willkürlich die Hochrechnungen aus dem Tabellenband Wohnen der Statistik Austria zur Orientierung heranziehen. Das Mietzinsniveau ist jedenfalls im Vergleich mit den anderen untersuchten Städten am niedrigsten und lag 2018 im Jahresdurchschnitt bei € 8,20.
Fazit
- Ziel dieser Recherche war ursprünglich herauszufinden, wie sich die geplanten Wohnrechtsänderungen der Regierung auf Ballungsräume exklusive Wien auswirken könnten. Es schien von Interesse, vor allem die Vertragsverhältnisse auf dem privaten Mietwohnungsmarkt zu eruieren.
- Es war bald klar, dass speziell zum privaten Mietwohnungsmarkt sowie zu den Anteilen an Haus- und Wohnungseigentum keine gesicherten Daten vorliegen.
- Die hohen Mietzins-Niveaus in Innsbruck und Salzburg lassen aber jedenfalls darauf schließen, dass auf dem privaten Mietmarkt der beiden Städte die freie Mietzinsbildung überwiegt und Richtwert-Mieten bei einer eher geringen Anzahl von Mietverhältnissen eine Rolle spielen. Was aber dort nicht zu beobachten ist: Dass ein gut entwickelter Eigentumsanteil in Verbindung mit liberalem privaten Mietmarkt und einem Anteil von rund 20% sozial gebundenem Wohnraum eine optimale Wohnversorgung aller Bevölkerungsschichten hervorbringt. Die Liste an vorgemerkten Wohnungssuchenden übersteigt in beiden Städten das Angebot bei weitem.
- Je gründlicher man sich mit der Datenlage zum Wohnungsmarkt befasst, desto mehr Fragen und Fraglichkeiten tauchen auf – beginnend beim nicht ausreichend gewarteten AWGR über fehlendes Wissen bezüglich der Entwicklung (Verkäufe, Mietzinshöhen) der rund 62.000 ehemals geförderten Mietwohnungen der Bundeswohnbaugesellschaften bis zum Sonderfall RGB-Wohnungen (ehemals geförderte Mietwohnungen, die bei vorzeitiger Rückzahlung der Förderungen gemäß Rückzahlungsbegünstigungsgesetz bei Neuvermietung zu einem angemessenen Zins vermietet werden dürfen).
So weit so kompliziert.
Am Ende bleiben vor allem zwei Fragen offen:
- Die vier untersuchten Städte werden im Gegensatz zu Wien tatsächlich kaum von der geplanten MRG-Reform der Bundesregierung betroffen sein – die Reform wird schlicht an den Wohnungsmärkten dieser Städte wenig ändern.
Speziell was die Mietpreisdynamik in Innsbruck und Salzburg betrifft, bestünde aber Handlungsbedarf.
Sollte die Reform eines Bundesgesetzes nicht mehr als die Bundeshauptstadt im Blick haben? - Verfügt österreichische Wohnpolitik überhaupt über ausreichend faktische Grundlagen für ihre Entscheidungen?
Man darf, denke ich, daran zweifeln.
[1] Siehe dazu S. 47ff: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/documents/131008/569203/Regierungsprogramm_2017%e2%80%932022.pdf/b2fe3f65-5a04-47b6-913d-2fe512ff4ce6
[2] Mietrechtsgesetz (MRG), Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG), Wohnungseigentumsgesetz (WEG)
[3] Statistik Austria: Wohnen 2017, Mikrozensus – Wohnungserhebung und EU-SILC, Statistik Austria, Wien 2018, S. 29
[4] Ebda.
[5] Vgl.: https://www.innsbruck.gv.at/page.cfm?vpath=verwaltung/statistiken–zahlen/bauen–wohnen
[6] Kursiv = Schätzung aufgrund des Fehlens von aktuellen Daten (vgl. Exkurs); fett = gesicherte Zahl
[7] SIR – Salzburger Institut für Raumordnung & Wohnen: Mietwohnbau in der Stadt Salzburg. Entwicklung und Status. 2017/18, im Auftrag des Wohnungsamtes der Stadt Salzburg MA03, https://www.stadt-salzburg.at/pdf/endfassung_2017_2018_gefoerderter_mietwohnbau_beri.pdf
[8] Statistisches Jahrbuch der Landeshauptstadt Salzburg 2017, https://www.stadt-salzburg.at/pdf/jahrbuch_2017_.pdf
[9] Telefonische Auskunft, Ing. Inge Straßl, September 2018
[10] Es gibt hier einen gewissen Spielraum, vgl. dazu Alexis Mundt: Privatisierung von gebundenem sozialen Wohnraum, in: Die österreichische Wohnungsgemeinnützigkeit – ein europäisches Erfolgsmodell. Festschrift für KR Helmut Puchebner zum 65. Geburtstag, hgg. v. Klaus Lugger und Michael Holoubek, Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 2018, S. 347: „Selbst bei bestehenden Verträgen kann es zu Mietenanhebungen über der normalen Indexierung kommen, etwa durch eine durchgängige Anhebung des Erhaltungs- und Verbesserungsbeitrags auf das maximal zulässige Ausmaß oder die Rücknahme von Stundungen. (…) Bei Neuvermietungen können trotz WGG-Bindung im Allgemeinen höhere Mieten verrechnet werden, was bei einem jährlichen Umschlag von ca. 6% des Bestands durchaus zu Buche schlägt. Dazu kommen WGG-konforme ‚Auslaufgewinne‘ bei ausfinanzierten Wohnungen.“
[11] Vgl. „Wohnungsbericht der Stadt Graz 2016“, https://www.graz.at/cms/dokumente/10278454_7763300/5e301db3/Wohnungsbericht_Graz_END.pdf
Tags: Mietrecht, Ruhsmann, Wohnpolitik, Wohnrecht