Forum Wohn-Bau-Politik

Jörg WIPPEL: Wiener Gemeindebau für das 21. Jahrhundert

Barbara Ruhsmann
Wohnbau

Wer durch die großen, alten Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit spaziert – durch den Sandleitenhof oder den Karl-Marx-Hof – ist auch heute noch beeindruckt. In einer ungeheuren gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik, Architektur, Wirtschaft und Wissenschaft wurden binnen kürzester Zeit (zwischen 1920 und 1934) über 60.000 Wohnungen für die Arbeiter und ihre Familien errichtet, die zuvor entweder obdachlos oder unter katastrophalen hygienischen Bedingungen leben mussten. Dieses erste Wiener Wohnbauprogramm zeichnete sich durch eine Fülle baulicher und sozialer Innovationen aus: So waren die Anlagen zum Hof und nicht zur Straße hin orientiert, sie waren großzügig mit Grünflächen ausgestattet, verfügten über Büchereien, Kindergärten, Tröpferlbäder und Waschküchen. „Licht, Luft, Sonne“ – war einer der Leitgedanken bei der Errichtung.

Nun kündigte die SPÖ Wien an, in den nächsten Jahren 2000 neue Gemeindewohnungen zu bauen, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Bis auf einen angedachten Bruttomietzins von € 7,50 gibt es bis dato allerdings kein umfassendes Konzept für dieses neue Gemeindebau-Programm, das fundierte Grundlagenforschung, Radikalität und Größe bräuchte.

Denn Wien wächst rasant und benötigt laut Experten jährlich rund 10.000 neue Wohnungen. Will man an die große Historie des Wiener Gemeindebaus anschließen, dann muss die Idee vom Gemeindebau Neu mehr sein als ein Wahlkampf- und PR-Gag im Vorfeld der Wiener Gemeinderatswahl 2015.

Die besten Köpfe müssten eingeladen werden, ihre Vorschläge einzubringen. Und es ist sicher nicht zeitgemäß, mit vorgefertigten Sozialkonzepten den zukünftigen Mietern die Selbstverantwortung abzusprechen. Die städtische Fürsorgepolitik von gestern muss durch eine bedürfnisorientierte Mieterpolitik von morgen ersetzt werden.

Spannend wäre auch, darüber nachzudenken, wie die Errichtungskosten reduziert werden können. Hier wäre Mut zu einem prototypischen Experiment mit Bodenhaftung gefragt. Der erste Gemeindebau neu soll in der Fontanastraße im 10. Bezirk errichtet werden. Mit einer Fertigstellung ist frühestens 2017 zu rechnen. Bis dahin wird auch die U1-Verlängerung nach Oberlaa in Betrieb sein. Wie viele Stellplätze brauchen die Bewohner der dort geplanten 120 Wohnungen dann wirklich? Tatsächlich so viele, wie die Wiener Bauordnung vorschreibt, oder nicht doch weniger oder gar keine?

Welche Antworten finden wir auf Entwicklungen wie Vereinsamung, Desintegration und das Auseinanderdriften von Alt und Jung? Wie können die gemeinschaftlichen Nutzungsräume in Wohnanlagen so gestaltet sein, dass sie von den Bewohnern auch tatsächlich angenommen und belebt werden? Wie kann dort soziale Durchmischung generationenübergreifend und nachhaltig gewohnt werden? Auch hier braucht es neue Ideen, damit Konzepte nicht nur Theorie bleiben.

Wenn schon auf Bundesebene keine großen Würfe im Bereich Wohnrecht oder Raumplanung erkennbar sind, sollte man zumindest in Wien das Gemeindebau-Projekt visionär und solide vorbereiten. Landmarks setzt man nur mit Kreativität, Intelligenz und Mut.

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